Erzähler:
Im November 1703 wird Isaac Newton zum Präsidenten der Royal Society gewählt. Die Zeremonie ist längst schon überfällig: Zwar noch nicht zum allwissenden Gott der Physik erhoben, wie es später im 18. Jahrhundert geschehen wird, und noch nicht einmal zum Sir geadelt, gilt Newton in London doch längst als der konkurrenzlose Star der modernen Naturwissenschaft. Keiner scheint besser geeignet als er, dem europaweit verehrten Gelehrtenclub, den man die Royal Society nennt, eine Richtung vorzugeben und ihn erfolgreich in ein neues Jahrhundert zu führen darin sind sich das Wahlkommitee und Mr. Newton einig. Ein Hindernis stand seiner Präsidentschaft lange im Weg: sein Kollege Robert Hooke. Im Gresham College, wo auch die Royal Society ihren Sitz hat, lag er störrisch auf dem Sterbebett und wollte nicht sterben ein verbitterter, einsamer alter Mann. Einst war Robert Hooke der berühmteste Wissenschaftler von London. Die Royal Society lag in seinen Händen, ihre Experimente, ihre Traktate und Korrespondenz, die Sammlungen von Künsten und Wundern. Kein Instrument, das er nicht erfunden oder verbessert hat, kein Fach, in dem er nicht brillierte, Physik, Chemie, Astronomie, Mathematik, Biologie, Geologie, Architektur.
1672 hat sich Hooke mit Newton über die Lichtbrechung getritten. 1687, als Newton seine Principia publizierte, behauptete Hooke, das Gravitationsgesetz sei seine Idee gewesen nicht ganz zu Unrecht. Mr. Hooke hasst Mr. Newton. Mr. Newton hasst Mr. Hooke. Bevor sein Feind nicht gestorben ist, will Newton nicht Präsident der Royal Society werden, und auch sein Hauptwerk, die Optik, das schon lange fertig in der Schublade liegt, gibt er erst in den Druck, als Hooke endlich unter der Erde ist. Unter Newtons Präsidentschaft verlässt die Royal Society das Gresham College, jenen schönen Bau an der Bishopsgate Street, in dem sie 40 Jahre lang wöchentlich zusammentrat, und zieht in den Crane Court weit fort von Hookes Geist, der durch seine alten Zimmer im Gresham College streicht und noch immer über den verfluchten Plagiator Newton murrt. Isaac Newton tilgt Robert Hooke aus den Annalen der Wissenschaft, so gut er es vermag. Man zitiert ihn nicht mehr. Seine Publikationen kommen aus der Mode. Die Apparate und Instrumente, die er erfand, verstauben und gehen kaputt. Alle Portraits, die von Hooke existierten, verschwinden in Newtons Amtszeit mysteriös aus den Akten und von den Wänden der Royal Society. Newton wird immer berühmter, bis zu seinem Tod und darüber hinaus. Robert Hooke geht in der Geschichte verloren, und man hat ihn bis heute nicht wirklich wiedergefunden. Drei Dinge sind nach ihm getauft: Ein Marskrater. Das sogenannte Hooke- oder Kardan-Gelenk, das sich in jedem Fahrzeugmotor findet. Und eine Elastizitätsgleichung aus der Physik das Hookesche Gesetz: "Die Dehnung ist der Zugspannung proportional". Hätte Robert Hooke im Jahr 1672 den Mund gehalten, als ihm Isaac Newtons Ausführungen über die Lichtbrechung nicht behagten, vielleicht wären seine Spuren heute weniger bescheiden. Es gibt kaum eine Naturwissenschaft, die Mr. Hooke nichts zu verdanken hätte. Ebenso wie Newton, war er nicht unbedingt der verträglichste Zeitgenosse.
Hooke:
3. Februar. Newton der größte Mistkerl des Hauses.
15. Februar. Traf Mr. Newton bei Mr Halley. N. behauptet in seiner Eitelkeit, Gesetz ist von ihm.
3. Juli. Royal-Society-Sitzung, Hoskyns, Henshaw, Hill, Hall. Dann kam Newton herein und ich ging hinaus.
Musik: John Blow, "Arms he delights in"
Erzähler:
Robert Hooke wird am 18. Juli 1635 in Freshwater auf der Isle of Wight geboren. Die Familie ist respektabel, aber nicht wohlhabend, der Vater Pfarrer in der Dorfkirche nebenan. Die älteren Geschwister, John und Catherine, entwickeln sich prächtig, Robert hingegen will nicht recht gedeihen. Ständig Kopfschmerzen, ständig erkältet, ein schwarzgalliges Temperament. Auch ist er ein bisschen buckelig, mit der Verdauung hapert es ebenfalls, außer Milch verträgt er kaum etwas und nachts kann er nicht schlafen. Statt ihn auf eine Schule zu schicken, erzieht ihn der Vater zu Hause, lesen, schreiben, ein bisschen Latein, nur das nötigste. Niemand glaubt daran, dass der hässliche kleine Robert seine Kindheit überlebt. Man lässt ihn meistens in Ruhe. Er streift rastlos durch die Landschaft, sammelt Muschelschalen und Pflanzen, grübelt nach über das seltsame Gestein, aus dem die Isle of Wight gewachsen ist. Ein Kriegsschiff legt an. Robert fertigt ein naturgetreues Modell, inklusive kleinen Kanonen, die mit Steinchen schießen können. Er zerlegt eine alte Uhr, kopiert jedes Teil in Holz und baut alles wieder zusammen: die hölzerne Uhr funktioniert perfekt. Robert bastelt Wassermühlen, Sonnenuhren, Fischreusen, Vogelfallen, erfindet rätselhafte Apparate, mindestens einen am Tag. Er ist ein unruhiges, merkwürdiges Kind. Vom ständigen Basteln wird sein Rücken immer krummer. Ein Londoner Künstler kommt auf die Isle of Wight, um dort zu malen. Das kann Robert auch. Er errät die Regeln der Perspektive, er stößt Kalk und Rötel zu Pigment, und bald hat er alle frommen Bilder im häuslichen Wohnzimmer kopiert. 1648 stirbt der Vater. Von der spärlichen Erbschaft fällt das meiste an den robusten und freundlichen ältesten Sohn. John Hooke wird Lebensmittelhändler auf der Isle of Wight und der dreizehnjährige Robert schifft sich ein, 100 Pfund in der Tasche, um in London das Malerhandwerk zu erlernen.
Er bricht seine Lehre jedoch ab, noch bevor sie richtig begonnen hat. Von Ölfarben bekommt er Migräne, und außerdem, so sein Freund John Aubrey, reut ihn das Lehrgeld:
Zitator (Aubrey):
Mr. Hooke hatte sofort begriffen, wie die Malerei funktioniert, und
so dachte er sich, warum kann ich es nicht einfach tun und meine 100
Pfund behalten?
Erzähler:
Robert investiert in eine anständige Ausbildung die Westminster
School, die renommierteste Knabenschule des Landes. Der Vierzehnjährige
scheint über seine Entscheidungen niemandem Rechenschaft abzulegen.
England hat gerade zwei Bürgerkriege hinter sich. König
Charles I wurde enthauptet, das "freie Commonwealth" ausgerufen
von Freiheit ist jedoch wenig zu spüren. Dr. Busby, der
Rektor der Westminster School, hat 20 Musketen und 20 Pfund Schwarzpulver
gekauft und seine Schüler bewaffnet: Sie verteidigen die Orgel
und den Schmuck der Kirche gegen den puritanischen Mob, der solches
Blendwerk des Teufels gerne niederreißt. Der junge Hooke interessiert
sich nicht für Politik und für einen Pfarrerssohn
auch erstaunlich wenig für die Religion. Dr. Busby schließt
seinen neuen Schüler ins Herz. Er nimmt ihn in seinem eigenen
Haus auf. Robert lernt die ersten sechs Bücher des Euklid in
einer Woche. Er bringt sich selbst das Orgelspielen bei und erfindet
dreißig verschiedene Flugmaschinen
Hooke:
nachdem ich allerdings in Selbstversuchen und durch Berechnungen
herausgefunden hatte, dass die Muskeln des menschlichen Körpers
doch nicht wirklich zum Fliegen geeignet sind, richtete ich meinen
Sinn zunächst auf die Erfindung von künstlichen Muskeln.
Erzähler:
Dr. Busby befreit diesen Schüler vom Unterricht. Robert studiert
allein in der Bibliothek. Die 100 Pfund gehen zur Neige. Ein Universitätsstudium
kann er nicht finanzieren. Dennoch will er nach Oxford. Wenn nicht
Robert Hooke, wer dann? Glücklicherweise verfügt der unscheinbare
Junge neben seinen sonstigen Gaben auch über eine schöne
Singstimme.
Zitator
(Aubrey):
So bekam er in der Christ Church in Oxford eine Stelle als Chorsänger,
wodurch er recht nett sein Auskommen hatte.
Erzähler:
Wenn der junge Mr. Hooke im Hof der Universität Flugexperimente
veranstaltet oder seine künstlichen Muskeln ausprobiert, ist
sein Selbstbewusstsein ungebrochen. Denkt er über seine Position
in Oxford nach, kommt es ein wenig ins Wanken. Er ist ein besoldeter
Chorist, kein richtiger Student, nicht wirklich ein "Gentleman"
im Sinne seiner Zeit. Er ist empfindlich. Er passt auf, was man über
ihn spricht, ob einer zu spotten wagt über seine Finanzen, seine
Maschinen oder seinen schiefen Hals. Hookes Talente bleiben in Oxford
nicht unbemerkt. Einige Herren, die der "Natural Philosophy"
anhängen heute würde man "Naturwissenschaft"
sagen nehmen ihn unter ihre Fittiche. Dr. Ward lehrt ihn die
Astronomie und Dr. Willis die Zergliederung des menschlichen Körpers.
Für den "Natural Philosopher" gibt es keine Trennung
der Fakultäten, keine Kluft zwischen Grundlagenforschung und
Anwendung. Alles ist betrachtenswert, die Schöpfung ein verschlüsseltes
Buch, dessen Chiffre man knacken kann, wenn man sich nur fleißig
bemüht. Aristoteles und die heilige Schrift sind längst
nicht mehr kanonisch. Man vertraut seinen Sinnen und seinem Verstand.
Ziel ist stets der empirische Nachweis, das kontrollierte, wiederholbare
Experiment. "Nullius in verba" wird später das Motto
der Royal Society lauten: Glaube keinen Worten ohne Beweis. Robert
Hooke fühlt sich schnell zu Hause in diesem Club der ein wenig
gottlosen Experimentatoren. Dr. Willis empfiehlt den jungen Mann dem
renommierten Chemiker Robert Boyle, einem Privatgelehrten aus aristokratischer
Familie. Robert Hooke zieht das Chorhemd aus und wird Mr. Boyles Assistent
wahrscheinlichlich der erste "wissenschaftliche Angestellte"
der Geschichte. Die Stelle ist wie geschaffen für ihn und Mr.
Boyle behandelt ihn fast wie einen Gleichgestellten. Dennoch: eines
Gentleman würdig ist auch diese Position nicht.
Robert Boyle ist heute berühmt als Entdecker des sogenannten
Boyleschen Gesetzes, wonach das Produkt aus Volumen und Druck eines
Gases bei gleichbleibender Temperatur konstant ist. Als Robert Hooke
in Mr. Boyles Dienste tritt, ist dieser am Rande der Verzweiflung:
Seine Forschungen über Luft- oder Gasdruck stagnieren, da der
Apparat für die Messungen fehlt. Die Pumpe, mit der Otto von
Guericke seine Magdeburger Halbkugeln per Vakuum zusammenleimte, ist
zu primitiv, an einer Verbesserung haben sich schon viele englische
Mechaniker versucht und sind gescheitert. Robert Hooke nimmt die Bemühungen
seiner Vorgänger in Augenschein
Hooke:
Alles viel zu plump, um irgendeinen nennenswerten Effekt zu erzielen!
Erzähler:
und macht sich an die Arbeit. Bald ist der "Pneumatische
Apparat" für Mr. Boyle fertiggestellt. Er pumpt die Luft
um ein Vielfaches schneller und kontrollierter aus dem Behältnis
als jede Maschine zuvor und außerdem erlaubt Hookes Konstruktion,
den Apparat an gewaltige Kammern anzuschließen, groß genug,
um einen ausgewachsenen
Naturphilosophen zu beherbergen, wenn er das Bedürfnis verspürt,
die Wirkung fehlender Luft am eigenen Leibe auszuprobieren
Hooke:
Ein miserables Gefühl im Kopf, Sausen und Druck in den Ohren.
Erzähler:
Über allerlei Umwege und Zwischenstufen entwickelte sich
aus Hookes grandioser Pumpe ein Gerät, das hundert Jahre später
die Welt veränderte: Die Dampfmaschine. Das Gasdruck-Gesetz,
das mit Hilfe von Hookes pneumatischem Apparat entdeckt wurde und
wahrscheinlich auch auf Hookes Berechnungen fußt Mr.
Boyle war halb blind und kritzelte nicht gerne Zahlen wird
Boyle alleine zugeschrieben. Assistent bleibt Assistent; das ist meist
heute noch so. Denkt man an Mr. Hookes spätere Wutausbrüche,
wenn er um eine Idee betrogen wird oder sich darum betrogen fühlt,
verwundert es, wie friedlich er es sich in Oxford gefallen lässt.
Ist es Ehrfurcht vor Boyle, Dankbarkeit, Sympathie, oder doch diese
gewisse Ahnung, ein bezahlter Helfer sei minderwertig und habe keinen
Anspruch auf Urheberrechte? Hooke arbeitet weiter für Boyle und
bleibt ihm ein Leben lang in Freundschaft verbunden.
Musik: Henry Purcell "May all factious troubles cease"
Erzähler:
Im Mai 1660 hält König Charles II Einzug in London.
Das Parlament restauriert die Monarchie. Im selben Jahr erhält
der Club von Experimentalphilosophen, der seit Jahren inoffiziell
in Oxford und London sein Netzwerk spinnt, den königlichen Freibrief
und nennt sich The Royal Society. Jeder Gelehrte, der etwas auf sich
hält, wird Mitglied. Robert Hooke kennt sie alle. Seit Jahren
trifft er sich mit den Gentlemen, debattiert mit ihnen, baut Instrumente
für ihre wissenschaftlichen Versuche, Lampenhalter für ihre
Kutschen, Uhren für ihre Salons. Nach wie vor ist er der Assistent
von Mr. Boyle. Er wird nicht Mitglied der Royal Society. Dafür
tritt er im Jahr 1662 in ihre Dienste. Man nimmt zu Protokoll:
Zitator
(Journal Book of the Royal Society)
Eine Person wurde vorgeschlagen, welche gewillt sei, der Gesellschaft
als Kurator zu dienen und für jede wöchentliche Sitzung
drei bis vier beachtliche Experimente zu produzieren sowie noch weitere,
sollte die Gesellschaft danach verlangen. Hierbei dürfe diese
Person zunächst keine Bezahlung erwarten, bis nicht die Gesellschaft
mittels einer Geldanleihe dazu befähigt wäre, diese zu leisten.
Mr. Boyle wurde dafür Dank gesagt, dass er der Gesellschaft zu
diesem Zwecke Mr. Hooke überließ.
Erzähler:
Robert Hooke, 27 Jahre alt und noch immer nicht wirklich ein Gentleman,
nimmt die Zügel der Royal Society in die Hand und lässt
sie drei Jahrzehnte lang nicht mehr los. Man weist ihm einige Zimmer
im Gresham College zu. Dort wird er bis zu seinem Lebensende wohnen
und arbeiten, Tag und Nacht, drei Stunden Schlaf müssen reichen.
Die Royal Society tagt oft in Mr. Hookes Salon, und wenn sie nicht
tagt, kommen die Mitglieder einzeln, zum Gedankenaustausch, zum Zanken,
zur Besichtigung oder Bestellung neuer Instrumente und Geräte.
Fast von heute auf morgen avanciert der Kurator Hooke zum Schutzheiligen,
zur Personifikation der Royal Society. Er kümmert sich um alles:
Die Experimente, die Bibliothek, die internationale Korrespondenz,
die Naturaliensammlung, die überquillt von Spenden, Stachelschweine,
Blasensteine, Missgeburten aller Art und auch das eine oder andere
Horn eines Einhorns.
Hooke:
Und ich schrieb der Society ihre Gesetze.
Erzähler:
Er formuliert genau, was Thema ist und was nicht. Es sind klare Aussagen.
Hooke:
Die Royal Society hat zum Ziel, das Wissen über alle Erscheinungen
der Natur zu befördern sowie über alle nützlichen Künste,
Fertigungstechniken, mechanischen Praktiken, Maschinen und experimentellen
Erfindungen. Nicht einmischen soll sie sich in Themen der Theologie,
Metaphysik, Moral, Politik und Rhetorik.
Erzähler:
Die Experimente, die Robert Hooke entwirft und vorführt,
reichen von mikroskopischen Studien bis zu Verbrennungsversuchen und
unzähligen chemischen Reaktionen, von Analysen der Dichte, des
Gewichts, der Brechungskraft von Wasser bis zu Hauttransplantationen
und Bluttransfusionen an lebenden Hunden. Die Royal Society ist ein
geschwätziger, chaotischer, genialer Verein. Liest man die Sitzungsprotokolle,
kann man ahnen, aus welchem euphorischen Durcheinander die heutigen
Naturwissenschaften geboren wurde.
Man findet wichtige Entdeckungen
Zitator
(Protokoll der Royal Society)
Mr. Hooke hat berichtet, dass er aus Beobachtungen mit seinem
neu konstruierten Teleskop geschlossen hat, dass der Jupiter um seine
Achse rotiert.
Erzähler:
seltsame Geschichten
Zitator
(Protokoll der Royal Society)
Ein Brief von Monsieur Monconis wurde verlesen, in welchem er
von einer Frau in Frankreich erzählt, die über eine lange
Zeit hinweg einmal im Monat einige perfekt geformte Knochen eines
Kindes mit dem Urin ausschied.
Erzähler:
und manchmal auch beides zugleich:
Zitator
(Protokoll der Royal Society)
Nachdem Mr. Leeuwenhoek die Gesellschaft brieflich davon unterrichtet
hatte, dass er, als er jener weißlichen Masse, die er zwischen
seinen Zähnen herausgekratzt hatte, eine mikroskopische Untersuchung
zuteil werden ließ, darinnen eine große Zahl lebender
Tierchen fand, welche sich auf das Hübscheste bewegten, wurde
Mr. Hooke beauftragt, dieses Experiment zu wiederholen. Er berichtete,
dass er ebensolche Tierchen gesehen habe, und zwar verschiedene davon,
in Milch, Blut, Speichel sowie in Aufgüssen von Pfeffer, Weizen
und Gerste.
Erzähler:
Es ist ein hoffnungsloses Unterfangen, die Interessen der Royal
Society und ihres energischen Kurators zusammenfassen zu wollen. Robert
Hooke beobachtet Kometen und stellt Betrachtungen an über ihre
Materie, ihre Fallgeschwindigkeit und ihr Verglühen. Er erfindet
ein Barometer, einen Windmesser, eine Methode, Wetterkarten zu erstellen
und begründet die Meteorologie als Wissenschaft. Er stellt die
Hypothese auf und beweist sie im Experiment, dass Verbrennung eine
in der Luft enthaltene Substanz benötigt und diese verbraucht
es wird weit über hundert Jahre dauern, bis ihm das jemand
glaubt. Er erforscht die Ursachen von Erdbeben. Er erfindet eine Methode
zur drahtlosen Telegraphie, eine Taucherglocke, ein U-Boot, eine neue
Art der Ziegelherstellung, eine Strategie, den Erdumfang zu messen,
ein Gerät zur künstlichen Beatmung, mindestens 20 verschiedene
Uhren, verbesserte Mikroskope, Maschinen zum Linsenschliff und zum
Färben von Stoffen, Geräte für Land-vermesser und Kartographen,
eine Methode, die Gravitationskraft mittels eines schwingenden Pendels
zu bestimmen, Lampen, Kutschenfederungen, Navigationssysteme, das
Universalgelenk und das erste Gregorianische Teleskop, das er dazu
benützt, eine Methode zu entwickeln, mit der man die Erdentfernung
von Fixsternen berechnen kann. In der ihm eigenen knappen Art notiert
Mr. Hooke einmal in sein Tagebuch: "Spent most of the day in
considering all matters".
Hooke:
Habe den größten Teil des Tages damit zugebracht, über
alle Angelegenheiten nachzudenken.
Erzähler:
Und wenn Robert Hooke "alle" schreibt, so meint er auch
alle. Die Hälfte seiner Ideen setzt er um. Die andere Hälfte
vergisst er sofort wieder. John Aubrey meint
Zitator
(Aubrey)
Bei einer so großen erfinderischen Begabung wie der seinen
darf man wohl nicht erwarten, dass das Gedächtnis ebenso exzellent
funktioniert; denn die beiden sind wie zwei Waagschalen, und wenn
eine hoch hinauf geht, senkt sich die andere tief.
Erzähler:
Die Royal Society bezahlt ihren Kurator keinesfalls. Allerdings
hat er nun eine Stelle von der Gresham-Stiftung bekommen und hält
für interessierte Laien Vorlesungen über Geometrie. Reich
macht sie ihn nicht, die Naturphilosophie. Er bekommt nicht einmal
Patente. Doch Robert Hooke scheint das nicht weiter zu stören.
Auch über die Frage, wo der Bedienstete aufhört und der
Gentleman anfängt, denkt er nicht mehr allzu oft nach. Mr. Hooke
ist glücklich. Er hat den schönsten Beruf der Welt.
Hooke:
Darum empfehle ich auch jedem Herrn von Qualitäten, sofern
er die Zeit dafür aufbringen kann, dass er sich solcherlei Studien
widmet. Die Vielfalt der Dinge, die zu erforschen sind, ist so groß,
die Methoden, sich ihnen zu nähern, sind so mannigfach, und die
Befriedigung, Neues zu entdecken, ist ein derart erfreuliches Gefühl,
dass ich mich erdreisten möchte, den Genuss hierbei nicht nur
mit dem zu vergleichen, der aus der Kontemplation erwächst, sondern
viel mehr noch mit jenem, den die meisten Menschen am liebsten haben:
dem Vergnügen der Sinne.
Erzähler:
Gefragt, wie viele Experimente er in der Royal Society vorgeführt
habe, zuckt Mr. Hooke die Achseln. Tausend? Tausende!
Musik: Henry Purcell, "A thousand, thousand ways we´ll
find to entertain the hours"
Erzähler:
1665, in London wütet die Pest, erscheint Robert Hookes Opus
Magnum:
Hooke:
"Micrographia. Oder: Einige physiologische Beschreibungen
kleinster Körper, gesehen durch Vergrößerungsgläser,
sowie Beobachtungen und Untersuchungen hierzu."
Erzähler:
Das Buch wird ein gewaltiger Erfolg.
Zitator
(Pepys)
Bis zwei Uhr morgens wach mit Mr. Hookes Mikroskopie-Band. Das genialste
Buch, das ich in meinem Leben las
Erzähler:
notiert Samuel Pepys in sein Tagebuch. Natürlich gibt
es auch Spott: Mr. Hooke hat ein Buch veröffentlicht, das von
Schaben und Flöhen handelt! Doch der Autor kann nichts Lächerliches
daran finden. Im Vorwort zur Micrographia schreibt er
Hooke:
So will ich denn meine Würmchen und Maden in die große
Schatztruhe der Wissenschaft werfen. Und dann können diese meine
kleinen Objekte mit den größeren Erzeugnissen der Natur
in einer Reihe stehen: Ein Floh, ein Wurm, eine Mücke mit einem
Pferd, einem Elefanten, einem Löwen.
Erzähler:
Von ähnlichem Selbstbewusstsein zeugen die Abbildungen. Hooke
hat sie selbst gezeichnet. Sein Meisterwerk ist eine Kopflaus, von
unten betrachtet, die quer vor ihrer Brust ein menschliches Haar in
den Krallen hält wie ein Krieger seinen Speer. Fast einen halben
Meter lang ist diese Tafel, und sie erinnert in ihrer kühlen
Grandezza auf das Befremdlichste an ein barockes Herrscherportrait.
Unbeschadet aller wissenschaftlichen Akribie, mit der er seine Beobachtungen
festhält, nimmt die Schönheit der Schöpfung den Autor
immer wieder so gefangen, daß er ins Schwärmen gerät:
Hooke:
Die Samen des Mohnes sind unter dem Mikroskop außerordentlich
hübsch: von dunkler rotbrauner Farbe und wunderbar honigwabenartig
mit einer sehr anmutigen Netzstruktur überzogen.
Erzähler:
Selbst haarigen Schimmel betrachtet er mit dem Kennerblick eines
Kunstsammlers:
Hooke:
Die Konsistenz dieser wohlgewachsenen Angelegenheit ist sehr zart
und zierlich.
Erzähler:
Doch die Micrographia ist noch viel mehr als eine Sammlung mikroskopischer
Schönheit. Ausgehend von einer Gliederung in unbelebte Objekte,
Pflanzen und Tiere, unterbreitet Hooke dem geneigten Publikum im Schnelldurchlauf
so gut wie sämtliche Themen, mit denen er sich je befasst hat
und wie man weiß, gibt er derer viele. Das Buch ist eine
Fundgrube, und man findet Erstaunliches. Hooke unterzieht die Substanz
von Schwämmen einer chemischen Analyse und schließt daraus,
dass es sich bei ihnen um Tierskelette handelt nicht um Pflanzen,
wie jedermann sonst vermutet. Er stellt die Hypothese auf, die Täler
des Mondes seien Einschlaglöcher von Meteoriten; um dies zu verifizieren,
knetet er eine Tonkugel, schießt darauf und untersucht die Löcher
unter dem Vergrößerungsglas. Er mikroskopiert hauchdünne
Korkscheibchen und beschreibt, was er sieht:
Hooke:
Ich konnte wunderbar klar erkennen, dass das Präparat porös
war und wie eine Honigwabe aus lauter kleinen Abteilen oder Schächtelchen
bestand, die nicht regelmäßig waren, voneinander getrennt
durch dünne Wände. Ich habe unter dem Mikroskop noch nie
zuvor gesehen, dass eine Pflanzensubstanz solche Poren hat; Zellen,
könnte man auch sagen ...
Erzähler:
Zellen sagt man bis heute. Hooke hat sie zum ersten Mal beschrieben
und ihnen den Namen gegeben. Ausgehend von der Brechungskraft von
Glas und Wasser stellt er eine ausgeklügelte Theorie über
das Licht und die Entstehung der Farben auf. Aus heutiger Sicht ist
sie falsch; allerdings inspirierte sie, zu Hookes Unglück, einen
introvertierten jungen Wissenschaftler namens Isaac Newton, sich über
die Grundlegungen der Optik Gedanken zu machen. Weit seiner Zeit voraus
ist Hooke in der Deutung tierischer und pflanzlicher Fossilien. Allgemein
werden solche Fundstücke als "ludus naturae", als eine
Art Scherz des schöpfenden Gottes betrachtet, gesammelt und abgetan.
Robert Hooke als Kind der Isle of Wight ist er aufgewachsen
mit Versteinerungen untersucht zum ersten Mal fossiles Gestein
unter dem Mikroskop. Es sieht aus wie Muschelschalen, wie Pflanzen.
Hooke denkt nach und kommt zum richtigen Ergebnis: Fossilien waren
einst Tiere und Pflanzen
Hooke:
welche durch Hochwasser und Überschwemmungen, Verschiebungen
des Bodens, Erdbeben oder ähnliches an diesen Ort geworfen wurden
und durch gewisse Kräfte, die der Erdsubstanz innewohnen, zu
Stein geworden sind.
Erzähler:
Hier befindet sich Mr. Hooke auf gefährlichem Terrain. Lebte
er in Frankreich oder Deutschland, sollte er an dieser Stelle besser
nicht weiterdenken, denn versteinerte Tier- und Pflanzenarten führen
einen schnell zur Erdgeschichte, und die Erdgeschichte ist beschrieben
im ersten Buch Mose. Robert Hooke ist jedoch Engländer. Auf dieser
glücklichen Insel ist die heilige Schrift als Grundlegung der
exakten Wissenschaften nicht mehr wirklich en vogue. Deshalb darf
Mr. Hooke, fast zweihundert Jahre vor Darwin, folgende Sätze
publizieren, ohne dafür auf den Scheiterhaufen zu kommen:
Hooke:
Wir wollen also annehmen, dass es in früheren Zeiten der
Erde verschiedene Spezies oder Kreaturen gab, die heute ausgestorben
sind und nirgendwo auf der Welt noch existieren. Weiterhin, dass es
in früheren Zeiten Geschöpfe gab, die den heutigen zwar
ähnelten, aber von gigantischer Größe waren
bis zu zehnmal so groß wie ihre jetzigen Verwandten. Wir vermuten
überdies, dass verschiedene Spezies nicht in genau der Art und
Bildung, wie man sie heute sieht, geschaffen worden sind, sondern
sich über die Zeit verändert haben, so sehr, dass sie jetzt
nicht mehr der ursprünglichen Spezies ähneln. Ferner, dass
durch Kreuzung von Arten neue Arten entstanden sind und die anfänglichen,
ihre Vorfahren, aus diesem oder jenem Grund verschwunden sind und
nicht gleichzeitig mit ihren Nachfahren auf Erden existieren.
Musik: Pelham Humphrey, "Lord, I have sinned"
Erzähler:
Im September 1666 bricht in London ein Feuer aus und zerstört
vier Fünftel der Innenstadt: 13.000 Wohnhäuser, 87 Kirchen,
das Zentralpostamt, die Guildhall, die Royal Exchange, 44 Zunfthäuser
und die St. Paul´s Cathedral. Das Gresham College bleibt verschont.
Die Royal Society und die Gresham-Stiftung werden evakuiert und das
College zur Kommandozentrale für den Wiederaufbau. Zwei Herren
von der Royal Society wird die Oberaufsicht übertragen: Sir Christopher
Wren, dem Astronomen, der vor einer Weile auf die Architektur umgesattelt
hat, von Seiten des Hofes, und Robert Hooke, dessen Interesse für
Stadtplanung sich bislang in Grenzen hielt, von Seiten der City of
London. Die beiden frischgebackenenen Inspektoren sind eng befreundet.
Kaum jemand kann so gut mit Mr. Hookes Empfindlichkeiten umgehen wie
der kühle und wohlerzogene Christopher Wren, und kaum jemand
gibt Hooke so wenig Anlass zum Schimpfen wie dieser. Wrens Bauten
allen voran die St.Paul´s Cathedral prägen
noch heute das Stadtbild; von Hookes Gebäuden blieb nur wenig
erhalten. Kaum sind die Flammen gelöscht, beginnt er zu planen:
Sein Entwurf für ein neues London erinnert ein wenig an New York
und wird von der Stadt verworfen. In den Jahren ab 1666 ist Inspektor
Hooke unablässig auf den Beinen. Er rennt durch London, stets
zu Fuß, und kümmert sich um alles. Er schreibt Gutachten
über jedes Grundstück und jede Ruine, stellt Zertifikate
für Besitzer und Baumeister aus, erforscht Grundwasserstand,
Kanäle, Gestein, leitet die Sitzungen der diversen Planungskommitees,
beaufsichtigt die Baustellen, verhandelt über Kosten, Material,
Statik. Ein Neuling in der Architektur, baut er das Königliche
College für Ärzte, den Marstall für die Königin,
das Bedlam Hospital für Geisteskranke, das Zunfthaus der Schneider,
einen großen Teil des Observatoriums in Greenwich und zahllose
Privathäuser für reiche Bürger und Aristokraten. Geldsorgen
hat er nun keine mehr. Dennoch hält er weiter seine Vorlesungen
für die Gresham- und bald auch für die Cutler-Stiftung
über Mathematik, über die Mechanik von Feder und Pendel,
über Kartographie, Geologie, Biologie. Auch seine Verpflichtungen
als Kurator der Royal Society vernachlässigt er keinen Augenblick.
Wöchentlich drei Experimente London mag in Schutt und
Asche liegen, den Appetit der Gentlemen auf neue Entdeckungen beeinträchtig
das nicht. Gleichzeitig führt Hooke seine eigenen Forschungen
fort, auf jedem einzelnen Gebiet. Es ist unmöglich nachzuvollziehen,
wie ein einzelner Mensch dieses Arbeitspensum bewältigen kann.
Hooke ist überall gleichzeitig ein kleiner dünner
Mann mit schnellem Schritt, der manchmal laut vor sich hin singt,
um seinen Tinnitus zu übertönen. Mr. Hooke ist unersetzlich.
Er gehört zum Stadtbild wie der Milchmann, der Sänftenträger,
der Zeitungsjunge. Inspektor Hooke, wenn er vorübereilt zu dem
einen oder anderen Termin, ist kein besonders schöner Anblick.
Richard Waller, Sekretär der Royal Society, versteht es nicht
zu schmeicheln:
Zitator
(Waller):
Was Mr. Hookes Aussehen anging, war er recht abscheulich sehr
krumm gewachsen, blass und hager und nichts als Haut und Knochen,
seine Augen grau, mit scharfem Blick, die Nase schmal, dünne
Oberlippe, scharfes Kinn, große Stirn. Er trug sein eigenes
dunkelbraunes Haar, das ihm sehr lang und strähnig ins Gesicht
hing.
Erzähler:
Und auch Samuel Pepys wundert sich:
Zitator
(Pepys)
Von allen Menschen, die ich je traf, kenne ich keinen, der weniger
hermacht und mehr kann als Mr. Hooke.
Erzähler:
Aus den Jahren 1672 80 und 1688 93 sind Mr. Hookes Tagebücher
überliefert. Man erfährt viel über ihn, bisweilen mehr,
als man möchte.
Hooke:
Donnerstag, 8. Mai. Zeigte Flamstead meinen Quadranten. Verfluchter
eitler Gockel. Trank drei Liter reine Molke und erbrach mit Gänsefeder
sehr viel Schleim, pisste klar wie Quellwasser, schlief gut.
Erzähler:
Beständig registriert Hooke seine körperliche Befindlichkeit
und doktert an sich herum. Die Tagebücher lesen sich wie ein
unendlicher Selbstversuch. Das Beobachten und Experimentieren ist
für Mr. Hooke selbstverständlich sei es eine Kopflaus,
ein Mondkrater oder er selbst.
Hooke:
Freitag. Wieder Lärm in den Ohren. Trank Senna. Wirkte gut,
fünfmal entleert. Kaufte zwei Brechmittel, eines von Whitchcot,
eines von Child, 7 Shilling. Um 6 Uhr Hühnerbrühe und Milch
mit Ei, kandierte Rosen und Dr. Goddards Mohnsirup. Schlecht geschlafen,
monströs geträumt, Schweiß.
Erzähler:
Mr. Hooke hat nie geheiratet. Ein bis drei Stubenmädchen
leben stets in seinem Haushalt. Sie gehen ihm auf die Nerven und leisten
ihm Gesellschaft.
Hooke:
Mittwoch. Nell hat Schrank offengelassen beim Staubwischen. Ausgezankt.
Donnerstag. Nell schmollt.
Freitag. Entschieden, Nell loszuwerden. Unerträglich!
Montag. Mit Nell vertragen.
Erzähler:
Wie allgemein üblich bei Pfarrersköchinnen und Mägden von Gelehrten, stehen die Mädchen Mr. Hooke auch zur Verfügung, wenn die Natur ihr Recht fordert. Das scheint im Gehalt inbegriffen. Mit Akribie notiert Hooke jede Kopulation bessergesagt: jeden seiner Orgasmen ins Tagebuch. Er verwendet hierfür ein Zeichen i, pisces das Symbol für das Sternzeichen der Fische. Vielleicht wählt er es, weil die Fische mit der Venus assoziiert sind, vielleicht aber auch aus graphischen Gründen: Das Pisces-Zeichen besteht aus zwei gebogenen Linien, die in der Mitte mit einem Balken verbunden sind mit ein wenig Phantasie ähnelt das durchaus einem Liebespaar.
Hooke:
28. Oktober. Mit Nell gespielt. Pisces. Tat mir im Kreuz weh.
2. Dezember. Schlecht geschlafen. Nell, Pisces, lag unten. Am Morgen
Haare mit Schere geschnitten, Kopferkältung.
3. März. Zum ersten Mal Doll befühlt. Pisces Pisces! Sie
nahm´s mit großem Gejammer. Gut geschlafen.
17. Mai. Mit Betty gebalgt. Träumte von Pisces.
19. Mai. Betty nackt. Pisces. Kopfschmerzen. Fleisch, Äpfel und
Tabak in der Rose, Fleetstreet. Bekam mir nicht. Früh zu Bett.
Pisces alleine. Betty schmollt. Schweiß und Ohrensausen.
Musik:
Anonymous, "The saint turned sinner" dritte Strophe
Erzähler:
1672 nimmt Robert Hooke ein hübsches kleines Mädchen
zu sich, Grace, seine 12jährige Nichte. Sie ist die Tochter von
John Hooke, dem vielversprechenden großen Bruder, der noch immer
Lebensmittelhändler auf der Isle of Wight ist und seit einer
Weile auch Bürgermeister von Newport. John Hooke hat Probleme.
Er kommt mit seinen Finanzen nicht zurecht, er steht im Ruf, mit falschen
Gewichten zu wiegen, sein Bürgermeisteramt bewältigt er
nur mit Mühe, und es scheint, als sei er auch nicht ganz richtig
im Kopf: zu viel schwarze Galle, Melancholie. Grace geht es gut bei
ihrem berühmten Onkel im Gresham College. Robert Hooke kümmert
sich rührend um sie, soweit dies aus seinen mehr als lakonischen
Tagebüchern zu entnehmen ist. Er unterrichtet Grace in der Algebra,
er bestellt ihr einen Französischlehrer, immer wieder kauft er
ihr Geschenke, ein Halskettchen, einen neuen Petticoat, brokatierte
Bänder für ihr Haar. Wenn Grace einen Besuch auf der Isle
of Wight machte und zurückkehrt, bereitet er eigenhändig
ihr Zimmer vor, ordnet ihren Schrank, legt ein paar gelehrte Bücher
für sie bereit. Ist sie krank, wacht er tagelang an ihrem Bett
und notiert ins Tagebuch, recht untypisch für ihn: Miserere me
deus. Im Juni 1676, Grace hat gerade ihren 16. Geburtstag gefeiert,
wird sie seine Geliebte. Zwar reduziert Mr. Hooke auch in Grace
Fall die Liebe auf das Zeichen der Fische, doch man ahnt, dass sie
sein Herz doch mehr beschäftigt als all die Stubenmädchen
vor ihr.
Hooke:
Montag. Grace ausgegangen. Schlief schlecht.
Freitag. Grace wieder ausgegangen! Schrieb an Bruder, er soll sie
entfernen.
Mittwoch. Schenkte Grace kleines Buch. Pisces Grace Pisces.
Mittwoch. Grace beim Ball der Lederhändler. Unerträglich!
Donnerstag. Langer Spaziergang mit Grace in Islington, bis sie müde
wurde.
Dienstag. Fand Kellertür offen und Mr. Pettis bei Grace!
Mittwoch. Morgens Grace Pisces. Harry hat Grace gezeichnet. Französisch
mit Grace gelesen. Mieder und Kleid für Grace, 40 shilling 6
pence.
Erzähler:
Im Februar 1678 nimmt John Hooke, der melancholische Bürgermeister
von Newport, einen Strick und erhängt sich im Türstock.
Dies entlockt seinem Bruder in London kein Miserere me deus. Er kümmert
sich darum, dass die spärliche Hinterlassenschaft sichergestellt
wird bei Selbstmördern fällt das Vermögen an
die Krone, wenn man nicht rechtzeitig Bittgesuche verfasst. Grace
kehrt zurück auf die Isle of Wight, dazwischen ist sie immer
wieder in London. Ihr Lebensweg ist nicht genau zu rekonstruieren.
Es wird gemunkelt, dass sie eine Affaire hat mit Sir Robert Holmes,
dem zwielichtigen Gouverneur der Isle of Wight, der einst seinen Lebensunterhalt
als Pirat verdiente. Es wird auch gemunkelt, die hübsche Grace
Hooke sei die Mutter von Holmes´ unehelicher Tochter. Auch in
den 80er Jahre besucht sie immer wieder ihren Onkel in London, bekommt
Halskettchen und Petticoats, wird gescholten, weil sie ausgeht, weil
sie andere Männer trifft. 1687 stirbt sie, 26 Jahre alt. Von
nun an wird Robert Hooke nie wieder Pisces in sein Tagebuch malen.
Die späteren Aufzeichnungen sind im Telegrammstil, unfohe Notizen.
Verdammte Hunde. Verdammte Schurken. Mr. Soundso ein Lügner.
Mr. Soundso ein eitler Schuft. Robert Hooke wird ein böser alter
Mann.
Musik: "Packington´s Pound"
Erzähler
1672 beauftragt die Royal Society den Kurator Hooke, einen Aufsatz
über die Natur des Lichts zu rezensieren, den der junge Isaac
Newton zur Beurteilung eingereicht hat. Newton vertritt darin unter
anderem die Theorie, das Licht sei aus Materieteilchen gebildet. "Korpuskulartheorie"
nennt dies die heutige Physik. Robert Hooke, der seinerseits eine
Art Wellentheorie bevorzugt, verreißt die Arbeit mit Nachdruck
zumal er mit scharfem Blick erkennt, dass Newtons Hypothesen
seinen eigenen Ausführungen in der Micrographia einiges zu verdanken
haben, ohne dass dieses Buch oder sein Autor auch nur mit einem Wort
erwähnt werden. Hooke ist sehr empfindlich, was vermutete Plagiate
angeht nicht ganz zu Unrecht. In einer Zeit, in der wissenschaftliche
Entdeckungen sehr oft mündlich oder in Briefen besprochen werden,
wechselt eine Idee schnell ihren Besitzer; Hooke hat das schon öfters
erlebt. Seine Stellungnahme zu Newtons Aufsatz ist harsch und ein
wenig herablassend, wenn auch höflich. Newton schnappt nachhaltig
ein. Dennoch beginnen Hooke und Newton einen Briefwechsel, der sich
über viele Jahre erstreckt. 1679 lässt sich Newton zum ersten
Mal dazu herab anzuerkennen, dass seine wissenschaftlichen Hypothesen
nicht aus dem Nichts geboren sind:
Zitator
(Newton)
Descartes hat gute Arbeit geleistet. Auch Sie, Sir, haben einiges
beigetragen, zumindest was die Farbentstehung bei dünnen Schichten
angeht. Wenn ich nun weiter sehen kann als die anderen, so deshalb,
weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.
Erzähler
Mr. Hooke gefällt dieser Brief nicht. Kann Mr. Newton wirklich
weiter sehen als alle anderen? Und wer sind die Riesen? Kepler wahrscheinlich,
Galileo, vielleicht noch Descartes mit Sicherheit nicht Robert
Hooke. Newtons unklare Floskel, die Mr. Hooke 1679 so ärgert,
schmückt heute die englische 2-Pfund-Münze: "Standing
on the Shoulders of Giants." Es gibt keine Freundschaft zwischen
Newton und Hooke. Doch erkennen sie beide das Talent des anderen.
Beide interessieren sich für die Bewegung der Himmelskörper,
das Phänomen der Gravitation. Schon um 1670 hat Hooke vermutet
Hooke
dass alle Körper denselben Gesetzen der Mechanik gehorchen.
Diese Anschauung beruht auf drei Hypothesen. Erstens: Dass alle Himmelskörper
eine Anziehungs- oder Gravitationskraft auf ihre Zentren ausüben,
wodurch sie ihre eigenen Teile zu sich heranziehen und verhindern,
dass sie davonfliegen. Zweitens: Dass ein Körper, wenn er in
eine geradlinige Bewegung versetzt wird, sich weiterhin in einer geraden
Linie bewegt, bis er durch eine andere Kraft beeinflusst wird, welche
ihn ablenkt und diese Linie zu einem Kreis, einer Ellipse oder einer
anderen Kurvenform biegt. Drittens: Dass diese Anziehungskräfte
umso stärker auf einen anderen Körper wirken, desto näher
zum Zentrum des ersten er sich befindet.
Erzähler
Es ist kein Wunder, dass Mr. Newton von seinem verhassten Kollegen
nicht lassen kann. Auch Robert Hooke bringt es nicht fertig, Newton
gegenüber zu schweigen ungeachtet seines Misstrauens,
das soeben neue Nahrung erhielt. Henry Oldenburg, der Sekretär
der Royal Society, der die englischen Patentverhandlungen für
den holländischen Mechaniker Christiaan Huygens führt, hat
Mitte der 70er Jahre auf unschöne und intrigante Weise dafür
gesorgt, dass Mr. Hooke die Erfindung der Pendeluhr abgesprochen wurde.
Obwohl die gesamte Royal Society Zeuge war, dass Hooke vor Huygens
diese Uhr konstruiert hat, und obwohl viele Gentlemen Henry Oldenburg
bis zu seinem Lebensende nicht mehr grüßten, steht noch
heute in jedem Lexikon, Christiaan Huygens sei der Erfinder der Pendeluhr.
Diese Affaire, bei der sogar der König um Rat gefragt wurde und
sich in gelangweiltes Schweigen hüllte, steigert Hookes Misstrauen
ins Unermessliche. Immer wieder findet man Einträge wie diesen
in seinem Tagebuch:
Hooke
Neue Flugmaschine erwähnt. Aber nicht verraten, wie sie geht!
Erzähler
Doch er unterhält sich nun einmal allzugerne über die
Gravitation. Monat um Monat grübelt Hooke darüber nach,
welchem mathematischen Gesetz die Anziehungskraft gehorchen könnte.
Er hat eine Vermutung doch es gelingt ihm nicht, sie in eine
Formel zu fassen. 1679 schreibt er an Newton:
Hooke
Ich nehme an, dass die Gravitationskraft stets in einem umgekehrten
quadratischen Verhältnis zu der Entfernung vom Zentrum eines
Körpers steht.
Erzähler
1687 publiziert Isaac Newton seine Principia. Darin formuliert
er das berühmte Gravitationsgesetz: "Die Anziehung zwischen
zwei Körpern ist proportional dem Produkt ihrer Massen und invers
proportional dem Quadrat ihrer Entfernung." Robert Hooke ist
mit keinem Wort erwähnt.
Zitator
(Aubrey)
Ich wünschte, Mr. Hooke hätte seine Gedanken damals ausführlicher
formuliert und sich ein bisschen mehr Papier geleistet!
Erzähler
seufzt John Aubrey. Es ist jedoch zu spät. Hooke kocht
vor Wut. Die wenigsten Mitglieder der Royal Society bringen viel Sympathie
für ihn auf; Newton ist der neue Star. Mr. Aubrey allerdings
hält Hooke die Treue:
Zitator
(Aubrey)
Und in dem selben Buch hat Mr. Newton noch mehr Theorien und Experimente
veröffentlicht, die alle von Mr. Hooke stammten, und nie zugegeben,
woher er sie hat!
Erzähler
John Aubrey ist zwar Mitglied der Royal Society, aber kein Naturwissenschaftler.
Er stellt Horoskope, erforscht die Druidenkreise von Stonehenge und
schreibt Biographien seine "kurzen Lebensläufe",
denen auch die Zitate über Hooke entnommen sind, gelten als Klassiker
der englischen Literatur. Mr. Aubrey bewundert Robert Hooke. Robert
Hooke nimmt ihn nicht für voll.
Hooke:
7. September. Aubrey kindisch und versoffen.
Erzähler:
Die Feindschaft mit Newton, die Angelegenheit mit der Pendeluhr,
der Tod von Grace in den letzten fünfzehn Jahren seines
Lebens findet Robert Hooke seine gute Laune nicht mehr wieder. Er
arbeitet noch immer wie besessen, kümmert sich um die Royal Society
und um alles sonstige, doch ist er verbittert, mürrisch, paranoid,
ein alter Mann, der die Sache leid ist. Er ist herzkrank, und als
es schließlich ans Sterben geht, tut er sich sehr schwer damit.
Richard Waller schreibt
Zitator
(Waller)
Er lebte lange ein sterbendes Leben. Über ein Jahr war er
sehr krank und, wie man sagen könnte, meist bettlägrig,
obschon er selten wirklich zu Bett ging, sondern die Kleider anbehielt
und, wenn er zu schwach wurde, sich so auf das Bett hinlegte, was
sehr unbequem war. Und dann nahmen seine Krankheiten immer weiter
zu, Atemnot, ein Anschwellen des Körpers, vor allem der Beine,
bis er zuletzt daran starb, und man sagte, als er tot war, sah sein
Körper ganz schwarz aus, zum Äußersten abgemagert,
alle Kräfte ganz verbraucht. Mr. Hooke starb am dritten März
1703. Er war 67 Jahre, 7 Monate und 13 Tage alt, und er wurde mit
Anstand und Würden in St. Hellen in London beigesetzt.
Erzähler:
Hookes Grab ist nicht erhalten. Ein halbes Jahr nach seinem Tod
wird Isaac Newton Präsident der Royal Society. Eine neue Zeit
bricht an.
Musik:
"Packington´s Pound"
Und
hier gibt es Robert Hookes Notizbücher!