Aus:
Ranieri de Calzabigi, "La Lulliade", 1789
aus dem Italienischen von Christine Wunnicke
Der Krieg bereits in vollem Gange ist,
die Säbel rasselten, ein jeder schmollte,
als eines Tags ein kleiner Sopranist,
der aus Neapel kam, nach England wollte,
und keine Ahnung hat vom Glaubenszwist,
Paris erreichte, wo der Donner grollte.
Die Neugier gab ihm einen schlechten Wink:
in die Oper lief das arme Ding.
An der Kasse kauft er ein Billet,
und während andre drängeln, stoßen, schlagen,
geht er allein und sittsam ins Parkett;
so gut sich die Franzosen nicht betragen.
Ein braver Junge ist's, zierlich und nett,
den Grund dafür weiß ich Euch nicht zu sagen:
macht seine Jugend, oder macht das Messer
die Wangen glatter und die Seele besser?
Sofort erkennt man seine fremde Rasse:
die Lulliisten nehmen ihm aufs Korn.
Man fürchtet, daß er es nicht unterlasse,
hier mitzusingen. Und schon kocht der Zorn.
Bald tobt und wütet diese wilde Masse,
man schubst ihn hinten, und man schubst ihn vorn.
Vergebens setzt der Knabe sich zur Wehr,
nach da, nach dort stößt man ihn
hin und her.
Der Unhold, welcher ihn am meisten pufft,
ist noch zu schlimmerem sodann bereit:
den armen Knaben packt der üble Schuft
mit harter Hand an seiner Männlichkeit.
Er drückt fest zu - und fühlt vor allem Luft;
er wundert sich, bis er dann plötzlich schreit.
Wie ein Esel brüllt er seinen Fluch,
er kreischt entzückt: "Eunuch, Eunuch,
Eunuch!"
So wird der Knabe ihnen noch verhaßter.
Sie greifen ihn und fesseln ihn sodann
unter den Logen an einen Pilaster,
rechts vom Orchester binden sie ihn an.
Er gleicht einer Figur aus Alabaster,
der arme Junge, der nichts machen kann.
Die Lulliisten schreien ganz erhitzt
nach jenen Teilen, die er nicht besitzt.
Nun wird der Vorhang endlich angehoben,
mit rauhen Klängen werden wir beglückt
(das Singen gleicht dem Schreien und dem Toben
des Bösewichts, den man zur Hölle schickt.)
Und aus den Logen, von der Bühne oben,
so manches Weibsbild nach dem Knaben blickt:
sie mustern den geschund'nen Liebesgott,
und stumme Gier mischt sich mit bösem Spott.
Sie gleichen einem Pfaffen, der Novizen
in stiller Zelle mit der Peitsche züchtigt;
die Knabenschreie können ihn erhitzen
(die Jesuiten sind dafür berüchtigt).
An jenem Körperteil, worauf wir sitzen,
der brave Pater gründlich sich ertüchtigt.
Daß auch die Haut ihm schön gerötet
sei!
Ist's Strafe? Oder ist es Buhlerei?